Kairi - There we go again...

Like us?!

14.10.2014

Hello, Hello. Hello, Hello. Tell me what you want right now? Erneut werde ich unsanft von einem dieser Songs aus dem Schlaf gerissen. Diesmal ist meine Hand jedoch schneller und ich lasse meinen Wecker verstummen, bevor die nervige immer glückliche Reporterin einsetzen kann. Können die nicht mal richtige Musik spielen? Stöhnend richte ich mich auf. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre ich von einem Lastwagen überfahren worden. Vielleicht hätte ich gestern doch ein bisschen eher ins Bett gehen sollen, statt stundenlang das Videomaterial zu sichten, zu zuschneiden und das Internet nach Songs zu durchsuchen, die sowohl zu den Tanzschritten der einen als auch zudem Gesang der anderen passen. Einige Ausschnitte sind schon fertig. Dafür hat es sich gelohnt, dass mein Kopf sich jetzt anfühlt, wie ein einziger Trümmerhaufen und ich ständig gähnen muss. 

Noch halb im Schlaf schlage ich meine Decke zurück und quäle mich aus dem Bett. Ich bin später als gestern, da ich bereits am Abend zuvor ein zweites Mal geduscht hatte. Die Schuluniform steht mir beim zweiten Anziehen kein bisschen besser. Nur dieses mal trage ich wenigstens die Krawatte ordentlich gebunden. Der Knoten ist immer noch der den der Junge mir gestern gemacht hat. Der Moment an dem ich ihm so nah gewesen war, dass ich seinen Geruch hatte einatmen können hat sich in mein Gehirn eingebrannt. Der Typ war mir den ganzen Heimweg nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Er hatte mir meinem Verstand so vernebelt, dass meine Mutter beim Essen fast hatte schreien müssen um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie dachte natürlich ich machte das extra, weil ich immer noch auf sie sauer bin. Weswegen sie extra noch losgegangen war und mir Kniestrümpfe besorgt hatte, um einer weitere traumatische Erfahrung vorzubeugen. Ich hatte ihr tausend Mal versichert, dass es nichts mit ihr oder meinem mies gelaufenen ersten Schultag zu tun hatte, aber sie kaufte mir das natürlich nicht ab und von dem Jungen würde ich ihr auf keinen Fall erzählen. Wer oder was war er? Wenn man vor Neugier sterben könnte, wäre ich jetzt vermutlich schon tot. Ich hatte mich noch nicht Mals aufs lesen konzentrieren können. Nur die Arbeit an dem Video hatte es geschafft mich abzulenken, sodass ich am Ende sogar in der Lage gewesen war einzuschlafen, aber selbst in meine Träume war er mir gefolgt. Ich hatte seltsam unzusammenhängendes Zeug geträumt an das ich mich jetzt kaum noch erinnere. Ich ziehe meine Kniestrümpfe hoch während ich angestrengt versuche die Erinnerung wieder wachzurufen. Der riesige Angst einflößende Schulleiter war auch drin vorgekommen. Er hatte mich wegen irgendetwas angeschrien und Namjoon hatte mich beschützen wollen. Wir waren aus irgendeinem Grund aufs Dach geflüchtet wo die beiden deutschen Mädchen sich angstvoll an meinen Arm geklammert hatten. Da war noch irgendetwas mit einem Sturm gewesen und einem K-Pop Flashmob. Was?! Das macht überhaupt keinen Sinn! Ich schaue in den Spiegel.

Jetzt sehe ich schon viel mehr aus wie die Mädchen an meiner Schule, aber ich komme mir vor als hätte ich dem Teufel ein Teil meiner Seele verkauft als Preis dafür in der Menge untergehen zu können. Einer Sache bin ich mir absolut sicher. Ich hasse Schuluniformen. Sie lösen vielleicht das Mobbingproblem in Ansätzen, aber der Druck auch wirklich auszusehen, wie alle anderen, ist untragbar. Heute schaffe ich es sogar ein bisschen Reis herunter zu würgen, um meine Mutter wenigstens ein bisschen versöhnlich zu stimmen. Ein weiteres kostbares Toast trage ich in meinem nun vollgestopften Rucksack, wie einen kleinen Schatz, mit mir herum. Ich freue mich bereits jetzt schon darauf es als Mittagessen zu verspeisen. Heute komme ich ohne Zwischenfälle an der Schule an. Langsam werde ich besser darin um vorbeigehende Passanten herum zu kurven, sodass ich nur nur einmal absteigen muss. Die Einfahrt der Schule ist leicht abfallend also rase ich in einem Affenzahn an den ankommenden Schüler vorbei. Die Blicke stören mich dabei kein bisschen. Ich denke gar nicht daran auch noch mein kleinstes bisschen Rest Individualität aufzugeben. Sollen sie doch starren, als hätten sie noch nie ein Skateboard gesehen. Ihre abfälligen Kommentar, falls sie den welche fallen lassen, höre ich eh nicht, da ich wie üblich die Geräusche der Außenwelt mit lauter Rockmusik aus meinen Kopfhörern übertöne. Ich spüre eine seltsam unerwartete Vorfreude während ich die Treppe zum Haupteingang rauf sprinte. Werden die beiden Mädchen wieder da sein? Auf jeden Fall werde ich heute ihre Namen rausfinden und hoffentlich noch ein bisschen Videomaterial abstauben. Ich kann nicht einfach zusehen wie so viel Talent unerkannt bleibt. Deswegen hatte ich gestern beschlossen ihnen den fertigen Film anonym zukommen zu lassen. Ich würde mein bestes geben. Ich bin sogar noch eine Minute zu früh am Klassenraum. Eine meiner persönlichen Hochleistungen. Sofort erkenne ich die hellen Haare der einen, die relativ weit vorne sitzt und sehr darum bemüht ist ihre Füße still zu halten, denn anscheinend hört sie noch immer Musik. Wie können die anderen nur so blind sein, denke ich lächelnd während ich vorsichtig mein Board in meinem Fach verstaue. Auch die andere sitzt schon an ihrem Tisch zwei Reihen vor mir. Ich sitze ganz hinten am Fenster. Sie hat ihre Haare wie einen Vorhang über ihre Schulter fallen lassen und wippt leicht mit dem Kopf. Der Lehrer betritt den Raum bevor ich weitere Beobachtungen machen kann und ich rutsche auf meinen Platz. Die Lehrkraft, übrigens die gleiche wie in meiner ersten Stunde hier beginnt mit dem Unterricht. Englisch. Der Stoff ist viel zu einfach, um mich abzulenken. Das hatten wir alles in der Unterstufe schon durchgenommen. Die Stunde zieht hin. Normalerweise vertreibe ich mir die Langweile im Unterricht mit schreiben an einer meiner zahlreichen Geschichten, aber dafür fehlt mir heute die Konzentration.

Erst bin ich damit beschäftigt auf die Brille des Lehrers zu starren um heraus zu finden ob er sie mittlerweile mal mit Wasser abgewaschen hatte, aber meine Gedanken wandern schnell woanders hin. Was hat der Junge gemeint, als er gesagt hat das können wir leicht ändern? Wer waren die Typen in der Limousine? Was hatten die komischen kreischenden Mädchen mit all dem zu tun? Wieso hatte er mir mein Board abgezogen und es dann tatsächlich zurück gebracht? Meine Theorien reichten von Youtubestar bis undercover Superheld. Keine kann jedoch meine Neugier auch nur in Ansätzen befriedigen, da sie alle nicht nur richtig abgedreht sondern auch total unrealistisch sind. So rauschen zehn tot langweilige Schulstunden und weniger langweilige, sogar sehr interessante, Pausen, die ich alle samt auf dem Dach verbringe, an mir vorbei. Mein zweiter Schultag ist immer noch nicht perfekt gelaufen, aber nicht halb so beschissen, wie ich erwartet hatte. Ich werde jetzt schon viel weniger angestarrt. Die meisten ignorieren mich zu meiner großen Erleichterung einfach und die Namen der beide Mädchen habe ich auch raus gefunden. Was überraschender Weise sehr einfach gewesen ist. Erst hatte ich jemand Fragen wollen, aber dann wäre ich wie der totale Stalker rüber gekommen. Zum Glück ist mir in der vorletzten Stunde die überaus clevere Idee gekommen einfach die Beschriftung auf ihren Fächer zu lesen. Welches ihre Fächer waren hatte ich schon in der ersten Pause durch Zufall mitbekommen, da sie die beiden nehmen meinen belegten und es wäre auch sowieso nicht schwer gewesen, da sie beide als einzige deutschen Nachnamen haben, aber so wurde ich wenigstens davor bewahrt wie ein Idiot jedes Fach absuchen zu müssen. Also packe ich nachdem uns das Klingeln endlich erlöst hat extra langsam meine Sachen ein und tue als wäre mein Schuh aufgegangen. Während ich auf dem Boden knie und zum Schein meinen Schuh binde, eilen auch die langsamsten aller Einpacker aus dem Raum. Nur die Lehrerin, die uns in den letzten beiden Stunden verzweifelt versucht hat ein zu prügeln in welchem Jahr die Bildungsreform stattgefunden hat und was sie alles bewirkt hat, ist noch da. Sie sitzt am Pult und schreibt irgendwas in ihren Kalender. Ich richte mich auf und schultere meinen Rucksack. Als ich mich bücke, um mein Board aus meinem Fach zu holen schiele ich unauffällig nach rechts. Der weiße Klebezettel sagt mir das der Name des hellblonden Mädchens Miu ist. Ich wusste, dass es was mit M gewesen ist! Die andere heißt Yuri. Es erstaunt mich ein bisschen, dass beide genau wie ich einen koreanischen Vornamen haben. Es ist als wären wir vorbestimmt gewesen in diesem schrecklichen Land zu stranden. Ja klar. Die Queen of Melodrama meldet sich mal wieder gehorsam zum Dienst.

Ich bin eine der letzten, die der drückenden Atmosphäre der Schule entflieht. Die großen Massen an Schülern ist schon weg. Auf den Fluren treffe ich nur vereinzelt Leute und auch der Vorplatz und die Einfahrt ist relativ leer. Ob aus dem Grund oder einfach, weil er so auffällig ist ohne Schuluniform, sehe ich den Jungen schon von der Treppe aus und bleibe erschrocken stehen. Er lehnt an dem Stamm des Baumes, der ein paar Meter von dem Fuß der Treppe entfernt gepflanzt ist. Es ist unverkennbar der Junge von gestern. Namjoon. Auch wenn er wieder eine Sonnenbrille trägt, obwohl es heute leicht bewölkt ist und seine Haare unter einer leichten schwarze Wollmütze versteckt sind auf die die Initiale RM in verschlungener Schrift gestickt sind. Was macht er denn hier? Stalkt er mich etwa? Mein erster Impuls ist es zu ihm rüber zugehen und ihn zornig anzumachen. Ich setzte mich also in Bewegung. Gerade noch rechtzeitig fällt mir ein, dass es auch nur Zufall sein kann. Er hatte seinen Abschluss bestimmt schon gemacht, da er aussieht wie um die 20, aber er kann ja auch ein kleineres Geschwisterkind abholen. Oder womöglich auch seine Freundin. Gut das ich mich selber vor dieser peinlichen Aktion bewahrt habe. Ich würde einfach meine Musik ganz laut drehen und ohne einen Blick zurück nachhause fahren. Er hat mich noch nicht gesehen. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet. Ich klemme mir meine Kopfhörer im Laufen über die Ohren und schalte die Musik ein. Leider kann ich meine Finger nicht dazu bringen den Ton ganz laut zu machen. Jetzt bloß unauffällig bleiben. Ich habe den Fuß der Treppe erreicht. Der Baum ist rechts vor mir am Rande des kleine gepflasterte Vorplatzes, der in die Auffahrt mündet. Vorsichtig stelle ich mein Board ab und mit zwei schnellen Beinstößen nehme ich Geschwindigkeit auf. Ich zwinge mich dazu stur geradeaus zu gucken und halte den Atem an, als ich direkt an ihm vorbei fahre. Schau nicht hoch, bete ich zu einem Gott an den ich eigentlich nicht glaube. Kein Wunder das meine Gebete nicht erhört werden. Aus den Augenwinkeln meine ich seinen Kopf hochfahren zu sehen, als ich schon an ihm vorbei bin. Ich bin aber nur zu höchstens fünfzig Prozent sicher. Vielleicht ist es ja nur Einbildung. Ja bestimmt war es nur ein Produkt meiner übermäßigen Fantasie. Ein Ausruf hinter mir straft diesen hoffnungsvollen Gedanken als Lüge. „Ya! Kairi!“ seine Stimme übertönt meine leise dudelnde Musik bei weitem und treibt mir eine Gänsehaut auf die Arme. Ich tue so als habe ich ihn nicht gehört und setzte meine Weg fort. Also ist er doch ein Stalker?! Mein Board rattert über eine Unebenheit im Boden. Da, wie ich vorher schon erwähnt habe, die Auffahrt leicht abschüssig ist und ich jetzt diesen kleinen Berg hochfahren muss bin ich nicht besonders schnell, auch wenn ich so oft Schwung hole wie es möglich ist ohne das es zu sehr auffällt. Namjoon scheint leider in einer ausgezeichneten körperlichen Form zu sein, denn in einem lässigen Jog, der ihn nicht im geringsten anzustrengen scheint, überholt er mich und stellt sich mir in den Weg. Mies gelaufen. Jetzt ist es offensichtlich, dass ich ihn bemerkt habe.

Soviel zum Thema unauffälliger Abgang. Ich springe von meinem Board und bringe es mit meinem Fuß kurz vor ihm zum stehen. Wenigstens sah das ganz cool aus. Ich nehme mein Kopfhörer ab. „Oh hi. Ich hab dich gar nicht gehört sorry“, lüge ich ihm unverschämt ins Gesicht und grinse. „Lügnerin“, sagt er ebenfalls mit einem Grinsen. Mein Kopf fährt hoch. Ups, das war vielleicht doch ein bisschen zu auffällig gewesen. „Dafür das du behauptest die Schule zu hassen, hast du mich aber ziemlich lange warten lassen. Was hast du da drin getrieben?!“ Also ist er doch wegen mir hier. Ich wusste es. Irgendwie fühle ich mich geschmeichelt. Ernsthaft? Ich fühlte mich geschmeichelt, weil er mich verfolgt und mir auflauert?! Bin ich jetzt vollkommen durchgedreht. Ich überlege, was ich antworte soll. Die Antwort ich musste noch die Fächer meiner Mitschüler durchsuchen, um ihre Namen rauszubekommen scheint mir nicht wirklich passend. „Was geht dich das an?!“ Mein Stimme klingt leicht pikiert. Sehr gut. Weniger gut ist, dass ich mich leider nicht stoppen kann noch hinzufügen: „Was machst du überhaupt hier?!“ „Ich hab auf dich gewartet“, antwortet er. Sein Blick mustert mich. Ihm fallen anscheinend meine kleinen Anpassungen an den schulischen Trend auf, denn er sieht ein wenig überrascht aus. Am liebsten hätte ich mir die Kniestrümpfe wieder ausgezogen. Aus irgendeinem Grund will ich nicht, dass er denkt ich würde mich immer an den anderen orientieren und mich anpassen. Das stimmt nämlich eigentlich überhaupt nicht. Normalerweise trage ich das was mir gefällt und nicht das was gerade in Mode ist. „Und warum hast du auf mich gewartet?“, frage ich genervt. Das er auf mich gewartet hat, war doch offensichtlich. Es ist der Grund, der mich interessiert. „Naja...“, er räuspert sich und legt sich die Hand in den Nacken. „Du hast gestern doch gesagt du würdest nicht mit mir was trinken gehen, weil du mich kennst, erinnerst du dich?“ Natürlich tue ich das. Ich habe ja kein Alzheimer, aber mein Sarkasmus bleibt erst mal unausgesprochen.

„Also dachte ich mir wenn ich dich mehrmals von der Schule abhole und nach Hause bringe bin ich kein Fremder mehr für dich und du hast keine Ausrede mehr.“ Was?! Er hatte es tatsächlich geschafft mir die Worte komplett im Mund umzudrehen. Ich musste mir dringend eine bessere Ausrede einfallen lassen. Warum brauche ich überhaupt eine Ausrede? Ich könnte doch auch einfach was mit ihm unternehmen, wenn ich ihn nett finde. Nein. Ich hatte mir doch fest vorgenommen hier alles scheiße zu finden und so schnell wie möglich nach Deutschland zurückzukehren. Ein Freund wäre da nur störend und außerdem bin ich so nicht der Typ für Straßenbekanntschaften oder eher bin ich nicht der Typ für jegliche menschliche Kontakte. Okay das war vielleicht übertrieben. Nicht das ich der totale Einsiedler bin, aber Menschen generell gehen mir halt irgendwann ziemlich auf die Nerven. Zudem ist es nicht ziemlich anmaßend, dass er direkt davon ausgeht ich würde mich von ihm nachhause bringen lassen?! Ich meine hallo?! Habe ich gar nichts mehr zu sagen. Ohne es zu merken bin ich wütend geworden. Richtig stinkig. Jetzt spüre ich sie überall. Weiß und heiß. „ So so. Das hast du dir also gedacht und dir ist dabei nicht einmal in denn Sinn gekommen, dass ich da vielleicht nicht ganz einverstanden mit bin oder?“, zische ich. „Ihr Koreaner seit ja echt ein Frauen verachtendes Volk. Also wirklich!“ Ich schnaube. Da hatte er echt einen wunden Punkt getroffen. Nicht das ich eine überzeugte Feministin bin, aber dieses bestimmerische Gehabe des anderen Geschlechts kann ich gar nicht ab. Nicht nachdem ich gesehen hatte wie sehr einer meiner Stiefväter meine Mutter unterdrückt hatte. Mit mir lasse ich das nie im Leben machen! Da würde ich lieber mein Leben lang alleine bleiben und meine Unabhängigkeit behalten! Soll er doch abhauen und sich eines dieser Mädchen-Mädchen suchen, die es unglaublich süß finden wenn ihnen ihr Selbstbestimmungsrecht geraubt wird! Ich drehe mich auf dem Absatz um. So einer war er also. „Warte! So meine ich das nicht.“ Er schließt zu mir auf, aber ich laufe weiter so schnell wie meine viel kürzeren Beine es zulassen. Leider kommt mir nicht die offensichtlich Idee mein Board zu benutzen. Dazu bin ich viel zu fokussiert auf seine fast schon beleidigende Anmaßung. „Ich meine das ich mir wünschen würde, dass du mich dich besser kennen lernen lassen würdest! Wenn du nicht willst kann ich da natürlich nichts machen.“ Ich schweige. Einen schlechteren Versuch sich raus zu reden habe ich ja noch nie gehört. Der ist keine Erwiderung würdig. „Machst du das immer so?“, fragt er bitter. „Du legst dir Vorurteile über deine Mitmenschen zurecht ohne dir die Zeit zu nehmen sie wirklich kennen zu lernen.“ Mache ich das wirklich ohne es gemerkt zu haben? Ich hatte meinen Mitschülern auch keine richtige Chance gegeben, sondern sie einfach abgestempelt, da hatte er ja irgendwie recht. Meine Beine versagen mir den Dienst und bleiben wie angewurzelt stehen. Zweifel vertreiben meinen explodierten Zorn. Ich fange an mir auf der Lippe herum zu kauen. Eigentlich hatte er ja wirklich nichts gemacht. Außer diesen einen etwas unglücklich formulierten Satz abzulassen, der etwas zu viel Platz für Interpretationen lies. Das war mal wieder typisch ich. Macht aus einer Mücke einen Elefanten. Sollte ich mich entschuldigen? Nein es ist nicht im geringsten falsch anzunehmen ich hätte die gleichen Rechte wie mein Gegenüber und sie einzufordern.

„Schon gut“, sagt er in das anhaltende Schweigen hinein. Aus den Augenwinkeln sehe ich ihn erneut lächeln. Ich will irgendwie wirklich nicht das er schlecht von mir denkt. Warum auch immer?! Und mein kleiner Ausbruch vor wenigen Minuten ist schon irgendwie absurd. Also beschließe ich über meinen Schatten zu springen und es ihm zu erklären: „Eigentlich bin ich nicht so, aber ich lass mich halt nicht so gerne auf andere Menschen ein. Da ist immer ein Vorschuss an Vertrauen, den man geben muss. Die Chance enttäuscht zu werden ist mir einfach zu groß dafür hab ich schon zu viel erlebt. Außerdem stempele ich nicht einfach blind ab, wie die in der Schule. Ich versuche mir eine unabhängige Meinung zu bilden meistens zumindest. Die anderen hören eine Sache über mich und ich bin schon ein Freak für sie. Weil ich nicht in ihr Profil passe. Für sie ist das nicht schlimm. Die bewegen sich ja auf vertrauten Grund. Aber ich komm schon damit klar. Darauf hab ich mich schon eingestellt.“ „Ich versteh was du meinst. Teenager in dem Alter sind echt schlimm.“ Er schaut mir direkt ins Gesicht. In seinen so dunklen Augen nichts als Verständnis und eine Frage, die er schließlich auch stellt: „Was hast du erlebt, dass du Menschen nicht mehr vertrauen kannst? Es ist okay wenn du nicht antworten willst.“ Ich schlucke, dass sind Erinnerungen, die ich nicht gerne wachrufen möchte, aber irgendwie will ich ihm vertrauen. Es ist ein riesiger Schritt für mich. Ich meine ich kenne ihn kein bisschen und das sind Dinge, die außer meiner ehemals besten Freundin in Deutschland niemand weiß. Aber sie ist tausende Kilometer weit weg. Jemand hier zu haben, dem ich vertrauen kann, wäre nicht schlecht. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich es einfach nochmal versuchen sollte. Einmal das Risiko eingehen. Ich schlucke und fange an zu erzählen. Meine ganze traurige Geschichte. Von meinem Vater, der einfach abgehauen war. Von den vielen verkorksten Beziehungen meiner Mutter unter denen wir alle gelitten haben. Hier lasse ich die Details weg, dass wäre zu persönlich. Von dem Tod meines Opas. Dem gezwungen Umzug. Von meiner Abneigung meiner neuen Heimat gegenüber. Von der Angst allem neuen gegenüber. Der Angst vor der Schule. Er hört mir einfach nur zu. Stellt genau an den richtigen Stellen Fragen. Es hilft irgendwie. Das alles wirkt auf einmal nicht mehr so schlimm. Als könnte ich die ganzen Probleme doch irgendwie meistern. Er schafft es zu verhindern, dass ich in eine melancholische Stimmung verfalle und bringt mich sogar zum lachen, indem er mir Geschichten aus seinem Leben erzählt. Von seiner kleinen Schwester mit der er sich immer Streiche gespielt hat, als er noch zuhause gewohnt hat. Von seinem Talent Dinge zu verlieren oder kaputt zu machen. Von seinen Freunden mit denen er so weit ich es verstehe in einer WG wohnt. Seine Freunde kommen immer wieder vor. Sie scheinen, wie seine Brüder zu sein. Der Spaß, den sie zusammen haben, kommt in jedem seiner Worte zum Vorschein und ich muss lächeln. Wir sind schon lange vor dem großen grauen Gebäude, in dem sich unsere Wohnung befindet, angekommen, aber wir reden trotzdem noch weiter. Nebeneinander sitzen wir auf der niedrigen Steinmauer, die den Vorhof des Hochhauses begrenzt und lassen die Beine baumeln. Ich weiß nicht wie lange wir da sitzen und reden. Aber irgendwann klingelt sein Handy und ruft uns aus unserer kleinen Welt zurück. Es scheint irgendwer wichtiges zu sein, denn sein Gesicht wird sofort ernst. „Ich muss jetzt los“, sagt er nachdem er das Gespräch beendet hat. „Okay“, antworte ich und springe von der Steinmauer. Meine Mutter wird mich töten, wenn ich nachhause komme. „Du schaffst das. Fighting!“, ruft er mir noch nach als ich schon fast im Hausflur verschwunden bin. Meine Mutter nimmt es überraschend gelassen, dass ich erst Stunden nach Schulschluss Nachhause komme. Sie denkt wahrscheinlich, dass ich mit Freunden aus der Schule unterwegs gewesen bin. Wenn die wüsste. Das seltsame Kribbeln in meinem Bauch und die Gänsehaut verlässt meinen Körper den ganzen Tag nicht mehr. 

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Comments

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Jelly_Belly
#1
Chapter 46: The feeeeeeeeeeels omg
Jelly_Belly
#2
Chapter 45: "knollnasige Trottel"
Ich packs nicht mehr :'D
_Gotka_
#3
Chapter 44: Daaaaaaaaaaaamn
_Gotka_
#4
Chapter 40: *Crying in the corner*
♥♥♥
_Gotka_
#5
Chapter 34: ♥♥♥♥♥
_Gotka_
#6
Chapter 33: ♥♥♥♥♥
_Gotka_
#7
Chapter 32: ♥♥♥♥♥
_Gotka_
#8
Chapter 30: Awwwwwwwwwwwwwww so awkward and yet so cute :3
_Gotka_
#9
Chapter 24: Bis in 3 Wochen ;-D
_Gotka_
#10
Chapter 23: Kleine Frage..fährt ihr auf das B.A.P Konzert in Düsseldorf? :D
Wie immer tolles Chapter :D