Kairi - The secret life of my skateboard

Like us?!

13.10.2014

Dreißig exzessiv starrende Augenpaare bohren sich in mein Gesicht. Ich halte meinen Kopf gesenkt. Meine Augen ruhen auf den schmutzigen weißen Spitzen meiner Chucks. Ich sende ein Gebet zum Himmel, dass der kleine glatzköpfige Mann mich nicht zwingt, ein paar Worte zu sagen. Noch ist er mit dem Putzen seiner übergroßen Brille beschäftigt. Mit seiner eigenen Spucke! Innerlich schüttele ich mich. Ich hatte ihm vor vielleicht fünf Minuten die Hand gegeben. Wieviele tausend Bakterien trage ich jetzt wohl mit mir herum? Mir wird auf einmal schmerzlich bewusst, dass ohne Ausnahme alle ihre Krawatte ordentlich gebunden tragen. Nicht nur das. Die Mädchen tragen auch aus einem mir unerfindlichen Grund alle schwarze Kniestrümpfe. Offensichtlich gehören die zur inoffiziellen Schuluniform. Nur leider hat niemand es für Nötig gehalten, mich darüber zu informieren, bevor ich heute morgen das Haus verlassen habe. Also steche ich krawatten- und kniestrumpflos noch mehr hervor, als ich es mit meinem Gesicht ohnehin schon tue. Da wäre es unauffälliger gewesen, in korrekter Uniform mit einem Helikopter auf dem Schuldach zu landen.

Bei der Erinnerung an diesen ersten Moment in meiner neuen Klasse bekomme ich immer noch Bauchschmerzen. Ich lehne meinen Kopf an den kalten Beton hinter mir. Ich sitze auf einer Treppe an die Wand gelehnt. Weit weg von der Cafeteria und unserem Klassenraum, um bloß jeglichen Kontakt mir irgendeinem menschlichen Wesen zu vermeiden. Nicht nur, dass ich falsch gekleidet und zu spät, dafür hatte ich einen ordentlichen Tadel vom Schulleiter bekommen, der nicht nur irre groß sondern auch ziemlich Angst einflößend ist, hier aufgekreuzt war. Nein. In der ersten Pause hatte ich mich schon als Freak geoutet. Sofort nach dem Klingeln hatten sich fast alle Mädchen der Klasse neugierig um meinem Tisch versammelt. Sie hatten mich einem Verhör gleich so mit Fragen durchlöchert, dass ich ziemlich verwirrt war und nur stotternde unzulängliche Antworten gab. Das hatte die meisten schon gegen mich aufgebracht. Die letzte beiden Mädchen, die mir freundlicherweise trotzdem anboten mir eine Tour durch die Schule zu geben hatte ich mit der Aussage, K-pop sei nicht so mein Ding, und der Tatsache, dass ich keine der Bands kannte, über die sie in einem fort schwärmten, endgültig verschreckt. Das Gerücht, die neue Deutsche würde ihre so heiß geliebte Musik verabscheuen, hatte sich wie ein Lauffeuer in der ganzen Schule verbreitet, sodass ich auch Gesprächsthema der unteren Klassen bin. Zumindest bei den Mädchen. Die Jungs interessiert das eher wenig, aber ich habe wenig Bedürfnis mich ihnen anzuschließen, da sie noch viel Testeseron gesteuerter sind als die Jungs bei mir zu Hause und ihre Zeit damit verbringen, durch die Schule zu ziehen und Mädchen anzugraben. Wütend zerre ich an meiner Krawatte, die ich in der zweiten Pause, dann doch unauffällig angelegt habe, aber aus meiner Verzweiflung heraus einfach mit einem Doppelknoten. Meine einzige ohnehin schon mikroskopisch kleine Chance auf Anschluss in Form zweier ebenfalls deutscher Mädchen, die schon vor geraumer Zeit hierher gezogen waren und mit denen mich meine einheimischen Mitschüler direkt zu Beginn ausführlich verglichen hatten, ist schnell zunichte gemacht worden. Die beiden hätten mir vielleicht meinen Fehltritt verziehen, aber sie scheinen als einzige nicht im geringsten an der Neuen interessiert zu sein. Sobald es zur ersten Pause geklingelt hatte, waren sie unbemerkt von den anderen aus unserer Klasse aus dem Raum in mir unbekannte Tiefen der Schule verschwunden und erst kurz vor dem Klingeln wieder erschienen. Ich selbst bin viel zu schüchtern, um eine von ihnen jemals anzusprechen. Näher kommende Schritte und Stimmen reißen mich aus meinen Gedanken. Seufzend ziehe ich mich am Treppengeländer hoch. Auf noch mehr abwertende Blicke und Gekicher kann ich gut verzichten. Konnte man denn hier nirgendwo seine Ruhe haben? Schon die ganze Pause wandere ich alleine, da mir nicht noch ein zweites Mal angeboten wurde einer Gruppe beizutreten, durch die Schule, um einen Platzt zu finden, an dem ich ungestört Musik hören konnte und mein Mittagsessen herunter schlingen kann. Die Treppe ist kein optimaler Ort. Natürlich muss hier früher oder später jemand vorbei kommen. Ich mache mich daran, die restlichen Stufen zu erklimmen. Ich überlege, ob ich im ersten Stock bleiben oder noch höher steigen soll. Hier oben sind nur die Klassenräume der unteren Klassen, aber trotzdem ist das Risiko groß jemanden zu treffen. Wo soll ich hin? Die Stimmen kommen näher und ich beschließe höher zu steigen. Meine Kopfhörer, die ich mir um den Hals gelegt habe, klopfen im Rhythmus meiner Schritte gegen mein Schlüsselbein. Die Stimmen hinter mir werden wieder leiser. Ich halte inne. Da habe ich eine Idee. Es ist zwar das totale Klischee und wurde auch in jedem Drama, das ich mir als Vorbereitung meines Trips reingezogen hatte, erwähnt, aber einen Versuch ist es wert. Das Dach. Ich nehme den Rest der Treppe zum zweiten Stock mit großen Schritten. Hier oben sind nur die kaum genutzten Kunst- und Musikräume. Nur wie soll ich einen Weg hoch finden? Ich kann ja schlecht an der Fassade hochklettern. Es sei denn hier laufen irgendwelche radioaktiven Spinnen herum, die bereit sind mich zu beißen. Hahaha. Mein einzig gebliebener Freund ist Sarkasmus.

Vorsichtig spähe ich um die Ecke des Treppenhauses den Flur hinunter. Die Luft ist rein. Unsicher in welche Richtung ich mich wenden soll gehe ich zu erst nach links. Vorbei an mittelmäßig guten Bildern, die zur Verschönerung der schäbigen weißen Wand von irgendwelchen übermotivierten Lehrern aufgehängt worden sind. Zum ersten Mal an diesem beschissenen Tag habe ich Glück. Die kleine Metalltür mit der ausgeblichenen Aufschrift 'Betreten nur für befugte Personen' ist neben den hier üblichen hellen Schiebetür unübersehbar. Vorsichtig umfasse ich die Klinke. Zu meiner maßlosen Überraschung lässt sie sich widerstandslos runter drücken und ich kann die schwere Tür aufziehen. Freiheit ich komme, denke ich, während ich mit neuerwachter Lebensfreude die schmale Treppe hoch spurte. Eine weitere schwere Tür erscheint vor mir auch sie lässt sich ohne Schwierigkeiten öffnen. Ein frischer Herbstwind fährt mir durch die Haare und unter den Rock. Ärgerlich halte ich ihn Marilyn Monroe like unten. Ich trete aus dem kleinen Haus, in dem sich die Treppe versteckt und will mir gerade meine Kopfhörer aufsetzen, als ich inne halte. Ein paar Meter entfernt von mir am Rand des Daches lehnt eines der deutschen Mädchen. Ich rufe mir ihre Gesichtszüge in Erinnerung, denn sie dreht mir den Rücken zu. Mittelgroße schön geformte Augen, dessen Farbe an einen bewölkten Sommertag erinnern. Eine kleine gerade Nase. Ein süßer kleiner Schmollmund, der gerade voll genug ist. Hohe Wangenknochen in einem oval geformten Gesicht. Sie ist die größere von beiden. Ihr Körper ist athletisch und schlank. Der Wind spielt mit ihren braun-blonden Haaren. Hinter mir knallt die Tür ins Schloss. Ich zucke zusammen und warte mit angehaltenem Atem, ob sie mich bemerkt. Aber sie hört nichts. Ihr Kopf wippt leicht im Takt der Musik in ihren Ohren und ich meine ihre schöne klare Stimme leise singen zu hören, aber der Wind trägt das meiste an Klang davon. Ich gebe meine Hoffnung noch nicht auf einen Ruheort gefunden zu haben. Das Treppenhaus steht genau in der Mitte des Daches. Auf der anderen Seite sollte sie mich nicht bemerken, denke ich und drehe mich um. Ich will gerade an einem dieser grauen hohen Sicherungskästen aus Beton vorbei gehen, der an die Wand des Häuschen angebracht ist, als ich schon wieder mitten im Schritt inne halte. Da ist das andere deutsche Mädchen. Sie sitzt auf der Brüstung und isst. Ihr Blick geht zu Seite ins Leere. Auch ihr Kopf wippt im Takt von für mich unhörbarer Musik aus ihren Kopfhörern. Ihr Körper ist schmal und zierlich auch wenn sie nicht klein ist. Ihre Haare sind hellblond und schulterlang. Ihr ist Gesicht kantiger und breiter als das der anderen. Ihre Züge sehr regelmäßig fast symmetrisch. Große blaue Augen. Eine Stupsnase. Schön geformte schmalere Lippen. Beide sind sehr hübsch, auch wenn sie das genaue Gegenteil von einander sind.

Ich ducke mich hinter den Sicherungskasten, um sie weiter ungesehen beobachten zu können, auch wenn ich dabei fühle wie ein Stalker. Aus irgendeinem Grund bin ich mir sicher, dass die beiden voneinander nichts wissen. Beide sind unabhängig hier hochgekommen. Es ist ihr Rückzugsort. Das Mädchen ist fertig mit essen. Ich runzele die Stirn. Wie war ihr Name noch gleich? Irgendwas mit M. Sie hüpft von der Brüstung. Ihre Bewegung seltsam elegant, wie die einer Tänzerin. Was sie anscheinend auch ist, denn ihre Füße fangen an sich zu bewegen und ihr ganzer Körper ist verloren in einem mir unbekannten Rhythmus. Sie liebt das, was sie tut. Ich spüre es alleine schon beim Zusehen und man sieht es auch in ihrem Gesicht. Sie ist gut. Richtig gut. Der Wind wird schwächer. Nun kann ich hören was das Mädchen auf der anderen Seite singt. Ich wende meinen Kopf. Jetzt ist sie in meine Richtung gedreht, aber auch sie schaut ins Leere und sieht mich nicht. Ihre Stimme ist klar, hell und wunderschön. Sie formt jedes einzelne Wort mit ungeheurer Sorgfalt und ihre Stimme drückt eine mir unbekannte Leidenschaft aus. Das Lied, was sie zuvor gesungen hat, war langsamer, aber jetzt wird der Beat schneller und ihre Stimme rauer. Rockiger. Sie treibt mir Gänsehaut auf die Arme. Ohne zu wissen, was ich tue, ziehe ich mein Handy aus der Tasche und öffne das Kameraprogramm, stelle es auf Video und drücke auf den roten Knopf.

 

Irgendwie hatte ich es geschafft über die Ereignisse auf dem Dach, die für mich immer noch mehr Traum als Realität sind, die Sache mit meinem Board komplett zu vergessen. Den ganzen Tag hatte ich an nichts anderes denken können. Heimlich hatte ich die beiden beobachtet, wie sie zurück gekommen waren. Raus gerissen aus ihrer Traumwelt. Sie beide trugen ein glücklich scheues Lächeln zur Schau, das nur sie selber verstanden. Nur sie wussten von den gut behüteten Schätzen in ihrem Inneren. Einmal erwischte ich mich dabei wie ich ebenso mysteriös und scheu lächelte. Auch ich bin jetzt eine Mitwisserin. Ich weiß von den weggesperrten Schätzen. Ihre pure Freude, die sie dabei empfinden, wenn sie ihr Innerstes ausleben können, wenn sie das tun, was sie am meisten lieben, ist zum Teil meine eigene geworden. Hart werde ich auf den Boden der Tatsachen zurück geworfen, als ich in mein leeres Fach in der Schrankwand an der hinteren Wand der Klasse, das mir heute morgen zugewiesen wurde, schaue. Mein Board ist nicht da. Wie soll es auch anders sein, da es mir heute morgen kaltblütig entwendet wurde! Unwillkürlich stöhne ich auf. Die wenigen im Klassenraum verbliebenen Mädchen werfen mir komische Blicke zu. Jetzt werden sie mich für wirklich total irre halten, da ich in einem den ganzen Tag leeren Fach nach einem Skateboard suche, mit dem ich für sie heute morgen nicht zur Schule gekommen bin. Ich klemme mir meine Kopfhörer über die Ohren und verlasse den Raum. Wenigstens können sie nun in Ruhe über mich lästern, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, das ich sie eventuell hören könnte. Ich drehe den Ton voll auf und folge den Massen an flüchtenden Schüler raus an die frische Luft. Meine Hoffnungen, der Typ würde mir mein Board wirklich zurückgeben, liegen unter Null, weshalb ich auch nicht nach ihm Ausschau halte. Ich meine, welcher Dieb bringt den gestohlenen Gegenstand zurück? Richtig. Keiner. In meinem Kopf überschlage ich bereits, wieviel mich ein neues kostet, sollte der unrealistische Fall eintreten, dass ich hier einen guten Skatershop finden würde. Mein Erspartes würde höchstens für ein Gebrauchtes reichen,das ich nur im Internet bekommen konnte, und da die örtlichen Poststellen bestimmt weniger effizient als ihre deutschen Gegenstücke sind, würde es bestimmt fünf Tage dauern, bis es frühestens ankommen könnte. Das wären dann zehn unendlich lange Schulwege! Wiedereinmal fällt mir auf, wie beschissen alles läuft. Was habe ich in einem früheren Leben falsch gemacht, um soviel schlechtes Karma zu bekommen?!

Ich habe die breite Treppe, die zum Haupteingang hoch führt, hinter mir gelassen und gehe die von Bäumen gesäumte Auffahrt entlang. Ich spüre jemanden nah hinter mir gehen, stempele es aber sofort als einen etwas aufdringlichen Mitschüler ab und beschließe ihn zu ignorieren. Sollte er mich ansprechen, würde ich ihn sowieso nicht hören und er würde beleidigt abhauen. Soweit zu Theorie, aber dieser jemand wird anscheinend nicht gerne ignoriert, denn wenige Sekunden später spüre ich, wie mir jemand kurz meine Kopfhörer von den Ohren hebt und sie zurück schnappen lässt. Eigentlich bin ich normalerweise ein sehr ausgeglichener Mensch. Heute jedoch ist meine Geduld schon wegen der neuen Schule und der Skateboardsache überstrapaziert, sodass ich nun wirklich keinen Nerv für irgendeinem lahmen Spruch habe. Ich fahre also wütend herum und reiße mir dabei selber die Kopfhörer herunter, da sich das Kabel irgendwie in dem Ärmel meines Blazers verfangen hat. Leider bin ich nun nicht nur in mein Kabel verwickelt, sondern auch so perplex, dass mir meine zornige Anmache im Hals stecken bleibt. Hinter mir steht, diesmal mit schwarzer Cap und Sonnenbrille, aber trotzdem unverkennbar der Mistkerl von Skateboarddieb. Unter sein Arm geklemmt: Mein heißgeliebtes Skateboard. Und was mache ich ganz das coole taffe Mädchen? Ich stehe nur da und glotze dumm. Er schmunzelt beim Anblick meiner ohne Zweifel behämmerten Miene. Lacht der mich ernsthaft gerade aus? „Ich hab doch gesagt ich bringe es zurück“, sagt er schlicht. Als wäre es das Natürlichste der Welt, dass er Leuten erst etwas abzieht, nur um es später zurück zu bringen. Vielleicht ist er ein Irrer, der so etwas ständig macht, wegen des Adrenalinkicks oder so. Die komischen kreischenden Mädchen wären bei dieser Erklärung aber immer noch ein Mysterium. Wütende Opfer? Flüchtlinge aus der Irrenanstalt? Keine der Möglichkeiten, die mir einfallen, scheint sehr realitätsnah. Der Junge guckt mich erwartungsvoll an. Reiß dich am Riemen. Du kannst später mutmaßen, weise ich mich selbst zurecht. „Erwartens du jetzt ein Danke?!“, fauche ich, nachdem ich möglichst unauffällig meinen Arm aus dem Kabelsalat befreit habe und mir meine Kopfhörer ordentlich um den Hals geklemmt habe. Jetzt ist er an der Reihe dumm zu glotzen. Ha, das hatte er wohl nicht erwarten! Mein alter Ego klopft mir zufrieden auf die Schulter. Ich ziehe wartend meine Augenbrauen hoch. „Mein Board?!“, sage ich genervt. „Was sollte das eigentlich?“ Meine Neugier ist zu meinem großen Bedauern mal wieder stärker als mein Stolz, der mir befiehlt ihm das Board aus der Hand zu reißen und zu verschwinden. „Das ist schwer zu erklären.“ Wow. Diese Antwort hat mich jetzt weitergebracht. Ich beiße mir auf die Zunge, um den Sarkasmus zurück zu halten. „Jedenfalls tut es mir wirklich Leid dir so viele Unannehmlichkeiten bereitet zu haben.“ Warum spricht er so förmlich? Sind wir hier bei einem Vorstellungsgespräch oder was? Er wirft mir ein entschuldigendes Lächeln zu und hält mir mein Board hin. Diese Grübchen. Meine Hände fangen an seltsam unkontrolliert zu zittern. Eine plötzliche Hitzewelle erfasst mich. Fast hätte ich mir mit der Hand Luft zugefächert. Ich zwinge meine Muskeln dazu, sich zu bewegen und nehme es ihm mit zitterten Fingern aus der Hand. Ich ertappe mich dabei, ihm zu verzeihen, und kann mich gerade noch stoppen, bevor ein 'Schon gut' über meine Lippen kommt.

Was ist nur los mit mir? Warum macht meine Zunge sich heute schon zum zweiten Mal fast selbständig? Ich kratze den Rest von meinem Stolz vom Boden auf und drehe mich auf dem Absatz um. „Jetzt warte doch“, ruft er mir nach. Mit seinen langen Beinen hat er schon nach zwei Schritten zu mir aufgeschlossen. Falls ich vergessen habe es zu erwähnen, er ist ziemlich groß. Genervt stöhne ich auf. „Was ist denn noch?“ „Warum hast du es so eilig von mir wegzukommen?“, stellt er eine Gegenfrage ohne auf meine einzugehen. Da mir auf die Schnelle keine Ausrede einfällt, sage ich einfach die traurige Wahrheit. „Ich will nicht speziell von dir wegkommen, sondern von diesem ganzen Ort und eigentlich auch von diesem ganzen Land.“ „War wohl ein beschissener erster Schultag“, stellt er fest. Überrascht bleibe ich stehen und starre ihn an. Bin ich sogar außerhalb dieser Mauern bekannt? Wer hätte gedacht, dass die Koreaner solche Klatschbasen sind. „Es ist offensichtlich“, erklärt er. „Du trägst keine Kniestrümpfe. In deine Krawatte hast du einfach nur einen Doppelknoten gemacht und außerdem dein Gesicht und dein Akzent, obwohl dein koreanisch echt gut ist. Respekt. Woher kommst du? Wahrscheinlich Osteuropa oder? Deutschland, Russland oder Dänemark?“ Meine Güte, ist er Sherlock Holmes oder einfach ein unerkanntes Genie? „Deutschland“, murmele ich. „Aber das mit der Krawatte ist nicht meine Schuld!“ Er grinst mich unverschämt an, als würde er sich in meinem Unglück suhlen. Plötzlich greift er mit seinen langen Finger nach meinem Hals und zieht mich an der Krawatte näher zu sich ran, sodass uns nur wenige Zentimeter trennen. Vorsichtig löst er den Doppelknoten und beginnt mit geschickten Fingern einen richtigen Krawattenknoten zu binden. Ich bin so klein, dass meine Augen genau auf der Höhe seines Adamsapfels sind und ich hoch schauen muss. Mein Herz klopft so laut, dass ich mir sicher bin, dass er es hört. Meine Beine werden weich wie Pudding. Mein Gehirn meldet eine kurzfristige Funktionsstörung, denn der Befehl an meine Hände, ihn wegzuschubsen, geht irgendwie verloren. Es ist vollkommen damit beschäftigt nur meine grundsätzlichen Stoffwechselaktivitäten aufrecht zu erhalten. Immer weiter atmen. Ein und Aus. Ganz ruhig. Das sind nur Hormone. Nur Hormo... Gott sind diese Lippen voll. Zum Glück ist er genau in diesem Moment fertig, bevor ich irgendeinen Unsinn fabrizieren kann. Er lässt mich los und tritt einen Schritt zurück, um sein Werk zu bewundern. Er rückt den Knoten noch einmal gerade, bevor er seine Hand endgültig wegnimmt. „Gern geschehen“, sagt er zufrieden, als wäre es das Natürlichste der Welt und wendet sich zum Gehen. Ich stehe immer noch da und versuche meine widersprüchlichen Gefühle zu verarbeiten. Zum einen bin ich enttäuscht, dass er mich losgelassen hat. Aus einem für meinen Verstand nicht nachvollziehbaren Grund! Zum anderen bin ich wahnsinnig wütend über meine eigene Reaktion. Warum habe ich ihn einfach gewähren lassen? Es passt überhaupt nicht zu mir, so wehrlos zu sein.

„Ich dachte du wolltest möglichst schnell von hier weg?“ Seine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Seine unglaublich tiefe und anziehende Stimme. Ich hebe den Blick. Er steht wenige Meter von mir entfernt und hat sich zu mir umgedreht. Jetzt bin ich endgültig wieder in der Realität, stolpernd setzte ich mich in Bewegung. Schweigend laufen wir neben einander her und passieren das große eiserne Schultor. Wie werde ich ihn jetzt nur wieder los und kann verhindern, dass er mir bis nachhause folgt? Ich könnte sagen, dass ich etwas vergessen habe oder einfach auf mein Board steigen und abhauen. Die erste Möglichkeit ist, da es mein erster Schultag gewesen ist, nicht nur offensichtlich, sondern auch die lahmste aller Ausrede. Das mit dem Board wäre zum einen sehr fies. Außerdem ist das Risiko zu groß, dass ich mich bei meinem Fluchtversuch langlege, da meine Beine immer noch seltsam weich sind und das wäre mehr als peinlich. Aus irgendeinem Grund bin ich mir auch gar nicht sicher, dass ich so schnell wie möglich von ihm weg will. Irgendwie ist es ganz angenehm einfach so neben ihm herzulaufen. Wo kommt das schon wieder her?! Ich höre neben mir ein nervöses Räuspern: „Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt. Wie unhöflich. Ich bin Kim Namjoon.“ Ich wende den Kopf. In seinen Augen liegt eine seltsame Erwartung. Hatten wir uns schon mal getroffen, sodass ich ihn erkennen müsste? Nein, daran würde ich mich erinnern. „Kairi“, antworte ich. „Ein schöner Name.“ Wirkte so ein lahmes Kompliment tatsächlich bei meinen Geschlechtsgenossinnen? Ich ignoriere es einfach. Was soll ich auch darauf sagen? Deiner erinnert mich an den Diktator von Nordkorea?! Das ist vollkommen übertrieben und zudem ein Schlag unter die Gürtellinie, aber eben einer meiner typischen Antworten, wenn ich unsicher bin. Also sage ich besser gar nichts. Da ich nicht auf ihn eingehe, versucht er nochmal ein Gespräch in Gang zu bekommen: „Darf ich dich als Wiedergutmachung wenigstens auf einen Kaffee einladen?“ „Ich trinke keinen Kaffee“, gebe ich wahrheitsgemäß zurück. Er grinst. „Dann eben auf einen Saft?“ Wirklich? Ich hatte schon verstanden, worauf er mit seiner Frage hinaus wollte. Anscheinend hat er meinen in der Wahrheit versteckten Korb nicht gecheckt oder es ist ihm einfach egal. Ich seufze. Muss ich noch deutlicher werden. „Warum sollte ich mit dir alleine irgendwo hingehen?! Erstens kenne dich nicht. Zweitens hast du mich heute morgen umgerannt und mir dann ohne Grund mein Board abgezogen. Für mich hört sich das nicht gerade vertrauensvoll an für dich etwa?“ „Wenn man es so betrachtet, stimmt das ja irgendwie, aber ich hatte einen guten Grund...“ „Den du mir nicht verraten willst. Gar nicht verdächtig oder?“, schneide ich ihm das Wort ab. Frustriert fährt er sich durch die Haare. Irgendwie eine ganz süße Geste. Soll ich ihm vielleicht doch eine Chance geben? Nein! Du wirst das tun, was jeder vernünftige Mensch auch tun würde, befiehlt mir mein Verstand. Wir biegen um die Ecke der Seitenstraße auf die Hauptstraße. „Ich würde es dir ja gerne erklären, aber dann lachst du mich bestimmt aus.“ Ich runzele verständnislos die Stirn. Warum sollte ich lachen? Ist er etwas eines dieser 'Idols', das auf der Flucht vor seinen Fans gewesen ist? Der Gedanke ist so absurd, dass ich schmunzeln muss. Sehr realistisch, tadele ich mich selber. „Du stehst wahrscheinlich nicht so auf K-Pop oder?“,fragt er völlig aus dem Nichts heraus und grinst belustigt. Wie kommt er den jetzt darauf? Denkt er, er kann mich so leicht ablenken, sodass ich doch mit ihm gehen würde?! „Nein, aber das ändert ja nichts an meiner Menschenkenntnis oder?“ „ Du hast recht vergiss es einfach“, lenkt er schnell ein. Grinst aber unverschämterweise immer noch über eine mir nicht bekannte Pointe. „Lassen wir das einfach mal außer acht. Du willst mit mir nicht alleine irgendwo hin, weil du mich nicht kennst richtig?“, fragt er. Ich nicke verwirrt. Ich habe keine Ahnung, worauf er hinaus will. „Das können wir leicht ändern.“ Sein Grinsen wird noch breiter. Ich kann nicht verhindern, dass seine Grübchen, schon wieder, meinen Herzschlag beschleunigen. „Was meinst du denn damit schon wieder?“, frage ich. Langsam werde ich wütend. Kann er nicht mal Klartext sprechen?!

Ein ungeduldiges Hupen lässt uns beide auffahren. Ein schwarzer Mercedesbus hält neben uns am Straßenrand. Ein echter Mercedes. In Asien! Ich traue meinen Augen kaum. Eine der verdunkelten Scheiben im hinteren Teil wird herunter gefahren. „Hyung!“, ruft ein ebenfalls gut aussehender Typ mit breiten Grinsen, bei dem er seine Zähne zeigt. Er hat dunkle Haare und ein relativ langes Gesicht. Außerdem hat er eine breite Nase und ausgeprägten Wangenknochen. „Wo treibst du dich wieder rum? Hast du vergessen das wir noch die Radiosendung haben?“ Man hört aufgeregte Stimmen und Gelächter aus dem Auto. „Nein. Rap Mon ist mit einem Mädchen unterwegs.“, antwortet er auf eine Frage, die ich nicht verstehen konnte. Die Geräuschkulisse, die aus dem Inneren kommt schwillt zu einem regelrechten Tumult an. „Na los komm schon! Die sind alle ziemlich angepisst“, sagt er in meine Richtung oder eher zu Namjoon, der hinter mir steht. Er schiebt sich an mir vorbei. „Man sieht sich“, sagt er und zwinkert mir zu. Die Tür wird geöffnet und das Fenster fährt wieder hoch. Ich kann noch weitere Silhouetten ausmachen. Er wird von lauten 'ooh' begrüßt. Jungs eben. Die Tür knallt ins Schloss und das Auto fährt davon. Ich schaue ihm nach. Was ist er? Ein Chaebol? Ein Mafiaboss?

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Comments

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Jelly_Belly
#1
Chapter 46: The feeeeeeeeeeels omg
Jelly_Belly
#2
Chapter 45: "knollnasige Trottel"
Ich packs nicht mehr :'D
_Gotka_
#3
Chapter 44: Daaaaaaaaaaaamn
_Gotka_
#4
Chapter 40: *Crying in the corner*
♥♥♥
_Gotka_
#5
Chapter 34: ♥♥♥♥♥
_Gotka_
#6
Chapter 33: ♥♥♥♥♥
_Gotka_
#7
Chapter 32: ♥♥♥♥♥
_Gotka_
#8
Chapter 30: Awwwwwwwwwwwwwww so awkward and yet so cute :3
_Gotka_
#9
Chapter 24: Bis in 3 Wochen ;-D
_Gotka_
#10
Chapter 23: Kleine Frage..fährt ihr auf das B.A.P Konzert in Düsseldorf? :D
Wie immer tolles Chapter :D