you don't wanna be here, but you got nowhere else to go.

setsunai; [koi tsudu]

__________/\___/\    ___  hope(lessly).
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Adam French - Wanna Be Here

 

Tage voller Schmerzen vergingen. Kairi verließ das Bett nicht mehr. Nanase versuchte für Yukiya einen möglichst normalen Alltag zu gestalten.

Immer wenn er ins Wohnzimmer ging, drehte er binnen Sekunden wieder um, ins Schlafzimmer. Er sah Miyu überall und hörte ihre Stimme.

Er ertrug es nicht.

Er war dankbar dafür, dass Nanase in Mutterschutz war. Sie wird dieses Thema um einiges besser verkraften, als wie wenn sie das Kind so gesehen hätte, wie er. 

Als Nanase am zweiten Tag nachhause kam, Yukiya in den Kindergarten gebracht zu haben, sah sie Kairi am Esstisch sitzen.

Wie auch gestern saß er vor seiner Tasse Kaffee und veranstaltete mit ihr einen Anstarrwettbewerb, bis sie kalt war.

Sie strich ihm über den Rücken und er raufte sich die Haare.

"Die Oberschwester hat..."

"Ich will da nicht mehr hin", unterbrach er sie sofort und bekam eine zittrige Stimme. Er senkte den Kopf tiefer.

"Ich will sie nur noch ein letztes Mal sehen", hauchte Nanase und legte den Kopf auf seine Schulter. "Bitte."

Eine Träne floss über ihre Wange und er griff nach ihrer Hand. Er konnte ihr nicht verbieten, ihre eigene Tochter zu sehen. Und er wusste auch, dass sie das alleine nicht durchstehen wird.

Er schnaubte kurz und schloss die Augen. Diese ganzen Bilder in seinem Kopf, er wollte sie alle ausradieren.

Vielleicht schaffte er es. Irgendwie.
Mit der Zeit.

Oder wenn er sich verabschiedete und um Entschuldigung bat. Er musste es versuchen.

"Dann lass' uns gehen."

Er erhob sich langsam und zog sich um. Nanase stand ein paar Minuten in der Küche und hätte kaum damit gerechnet, von ihm begleitet zu werden.

Er hatte sich für schwarz entschieden. Nanase war in ein weites Sommerkleid in weiß gekleidet.

Draußen war es noch angenehm. Heute wird ein heißer Tag werden.

Kairi klammerte sich an Nanases Hand und folgte ihr in das Krankenhaus. Er brauchte einige Male, in denen er an seine innere Fassung appellieren müsste und stand deswegen verlassen wirkend inmitten der Eingangshalle.

Sie haben dreimal gehalten, bis sie endlich vor dem Aufzug standen. Erneut schnürte es ihm seine Luft ab. Er versuchte Ruhe zu bewahren.

"Sieh mich an."

Es hallte in seinem Hinterkopf.
Seine Hand klammerte sich an die Stange im Lift und er senkte seinen Kopf.

Er wollte nicht, dass Nanase seine Tränen sah.

Am liebsten würde er weglaufen, doch ihr zuliebe konnte er es nicht.

Wie würde er überhaupt den Schwestern gegenübertreten. Wie Kisugi.

Er wusste es nicht und diese Ungewissheit verschaffte ihm in letzter Zeit fast immer einen Herzstillstand. Als würde er wie damals unter einem Schock stehen.

Als sie im fünften Stockwerk angekommen sind, schaffte Kairi es kaum, einen Schritt aus dem Aufzug zu setzen.

Er fühlte sich gefesselt.
Wirkte wie ein Kind, dass sein Leben lang nichts kannte, außer Angst.

Er spürte seinen eigenen Herzschlag wieder einmal nicht. Er fühlte nichts mehr. Nur die Trauer und den Schmerz, den er in der Kardiologie zurückgelassen hat, sog er durch seine Füße auf.

Nanase stand halb in der Tür, damit diese sich nicht schloss und bereute innerlich, ihn gefragt zu haben.

Doch hätte sie ihn zuhause gelassen, würde sie ihm alles zutrauen. Deswegen ging sie ungerne eine Minute aus dem Haus, da es dann schon zu spät sein könnte; ihn auch noch verloren zu haben.

"Dr. Tendo, Nanase", verbeugte sich Sakai und Kairi sah auf. "Schön euch beide wiederzusehen."

Sie lächelte und strahlte eine gelassene Aura aus, die etwas auf Kairi abfärbte.

Er zwang sich aus den Lift zu steigen. Seine Füße blockierten nach dem Verlassen wieder und er konnte keinen Schritt in Richtung Kardiologiestation machen. Er schämte sich so sehr dafür.

"Es ist alles gut", versuchte Nanase ihn zu beruhigen und strich ihm mit der zweiten Hand über den Handrücken.

"Bitte", deutete Sakai in Richtung des Flurs und verbeugte sich kurz.

Kairi schluckte kurz und nahm einen tiefen Atemzug. Auch wenn er in jeder Ecke die Bilder sah, auch wenn er sie noch so stark hörte. Er war mit Nanase mitgekommen, um das ganze begraben zu können.

Er folgte den beiden, die Hand von Nanase hatte er immer noch nicht losgelassen.

Sakai hielt und deutete den beiden, eintreten zu können.

Sie verschwand lautlos.

Nanase sah kurz zu Kairi. Sie war sich in diesem Moment unsicher, ob sie ihr Kind nicht so in Erinnerung behalten will, wie sie immer gewesen war.

Doch das Nicken von Kairi, welches sie selbst überraschte, schenkte ihr neuen Mut.

Sein Griff wurde fester und er strich ihr leicht durch die Haare.

"Wir schaffen das schon. Gemeinsam", klang es, als hätte er wieder etwas Hoffnung geschöpft, obwohl er seit Betreten des Krankenhauses unter Dauerstrom stand.

Er drückte auf den Knopf und ließ Nanase als erste eintreten. Es brauchte noch etwas Überredungskunst in seinem Kopf, sich zu überzeugen, dass es nicht mehr so schlimm aussah, wie damals.

Vorsichtig machte er einen Schritt vor den anderen und musterte seine Umgebung.

Die Jalousien waren halb geschlossen und ließen durch die Schlitze die Sonnenstrahlen herein. Die ganzen medizinischen Geräte waren verschwunden.

Und dann sah er auf das Bett.

Nanase saß bereits auf dem Stuhl, schluchzte und hielt die Hand der Kleinen.

Sie trug das wunderschöne Blumenkleid, welches Nanase ihr zum Geburtstag genäht hatte. Ihre Haare waren offen und schön auf das Bett gelegt. Die Stirnfransen sind durch einen Blumenkranz auf ihrem Kopf zurückgehalten. Sie trug ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen.

Und ein Klemmbrett lag auf der Bettdecke.

Er zog es sich näher, wandte seinen Blick vom Kind ab und lass den Zettel, der auf dem ersten Blatt klebte.

Kairi entschuldigte sich.

Mit schnellen Schritten lief er fast den Flur entlang und bog zielgerichtet ab.

Er riss die Tür auf, doch niemand war hier.

Leise fiel die Tür hinter sich ins Schloss und er starrte auf seinen Schreibtisch. Er war noch so verlassen, wie vor drei Tagen.

Er setzte sich auf das Sofa und legte die Mappe auf meinen Schoß.

In seinem Inneren konnte er es noch nicht mit sich ausmachen, ob er es lesen soll.

Für Kairi, damit du wieder schlafen kannst. - Kisugi

Er zog den Zettel ab und klebte ihn auf seinen Oberschenkel. Es waren Testergebnisse. Von allen möglichen Tests, die man nur durchführen kann. Einige Dinge waren angestrichen, andere irrelevant und Kisugi kommentierte alles mit kleinen Klebezetteln, damit Kairi wusste, auf was er hinaus wollte.

Die Tests machen den Anschein auf die Hämophilie. Zwar im leichten Stadium, aber dennoch. Es wäre das letzte, an das man als Arzt denkt, dass ihre Blutgerinnung gestört sein könnte.

Er blätterte weiter und das Röntgenbild der Schädeldecke der Kleinen erschien.

Sie wäre mit dem Gerinnsel vielleicht nicht mehr aufgewacht.

Die Sammlung war bald zu Ende. Ein letzter Klebezettel.

Ihr Körper war überhäuft mit Serotonin und Noradrenalin. Eigentlich, in ihrer Verfassung, hätte sie bereits den Weg ins Krankenhaus nicht geschafft. Aber du warst da, deswegen hat sie so lange durchgehalten. Du und das Serotonin.

"Danke Kisugi", hauchte er und stieß schwer die Luft aus. Er suchte die Klebezettel zusammen und klebte sie wieder an ihren vorherigen Platz. Das Klemmbrett legte er neben seine Kleidung auf den Schreibtisch.

Er verließ das Büro und traf Nanase an, die in Richtung Station aufgebrochen war.

"Du kannst gerne noch zu ihr", deutete sie über seine Schulter und drückte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie weiterging. Ihr leichtes Lächeln auf den Lippen zeigte, dass sie im Einklang mit sich selbst war.

Kairi ging zurück zum Zimmer und immer wieder kreisten diese Notizen von Kisugi in seinem Kopf herum.

Wie hätte er die Krankheit erkennen können, wenn alle in seiner Familie Ärzte waren und immer sofort bei jeder noch so kleinen Verletzung gehandelt haben. Er konnte so etwas nicht sehen.

Das Blutgerinnsel unter der Schädeldecke hat er bereits vergessen.

Er wusste nun, er war machtlos gewesen, wenn das Blut schneller durch seine Finger rannte, als die Uhr mit der Zeit nachkam.

Kairi setzte sich auf den Stuhl und nahm ihre Hand.

"Ich hätte doch so gerne gesehen, was für eine Ärztin du geworden wärst", hauchte er und Tränen stiegen ihm in die Augen. "Ich bin so stolz auf dich."

Er drückte ihr einen allerletzten Kuss auf die kalte Stirn und strich ihr über die Wange.

Ganz nahe sah er sie noch einmal an. Ihre sanften Lippen, die niedlichen Bäckchen und die dunklen Wimpern. Ihr schönes Haar und das pinke Pflaster.

"Verzeih' mir Liebling, für alles was ich übersehen habe."

Er küsste sie auf den Handrücken und erhob sich. Die Hand legte er auf das Bett und die Decke darüber.

Kairi entfernte sich und hielt unter der Tür nochmals.

Er drehte sich um und bekam das erste Mal seit langem ein leichtes Lächeln auf die Lippen, als ein Gewicht von seinen Schultern fiel. Es wirkte befreiend.

"Ich hab' dich lieb, Miyu und danke für dein Lächeln, welches du mir immer geschenkt hast. Du machst mich zum stolzesten Vater der ganzen Welt."

Er schloss die Tür und strich sich die Tränen weg. Mit entschlossenen Schritten ging er den Flur entlang und kam in die Station.

Nanase unterhielt sich mit den Schwestern über den kleinen Nachwuchs, der noch im Bauch wohnte und Kairi hielt.

Er sah auf eine kleine Schüssel mit verschieden farbigen Zetteln darin. Sie waren alle zusammengefaltet. Das Bild, welches er in seinem Spind gehabt hatte, war eingerahmt und stand daneben. Eine Kerze stand angezündet in einem hohen Glas dazwischen. Und rechts von der Schüssel saß der kleine Stoffhase, den er bei seinem entbrannten Verlassen vergessen hat.

In Gedenken an Miyu Sakura

Er nahm einen tiefen Atemzug, stahl sich einen blauen Zettel und öffnete ihn.

Mit Handschrift war etwas darin geschrieben.

Warum sind manche blauen Flecken nicht blau sondern grün?
- Dr. Koishikawa [Kardiologie]

Kairi verzog leicht das Gesicht und holte noch einen Zettel aus der Schüssel. Diesmal einen gelben.

In welche Richtung fließt eigentlich mein Blut?
- Dr. Yuki [Pädiatrie]

Er verstand noch nicht genau, was sich hinter dem ganzen verbarg. Doch er fand es berührend.

"Dies sind alles Fragen, die Miyu einmal Ärzte gefragt hat, während sie nach Ihnen gesucht oder auf Sie gewartet hat", riss Sakai ihn förmlich aus seinen Gedanken. "Wir dachten, es wäre eine kleine Aufmerksamkeit, Miyu in Erinnerung zu behalten und zu ehren."

"Vielen Dank, Sakai", lächelte er leicht und faltete die beiden Zettel wieder zusammen, damit sie auch andere Menschen lesen konnten und dabei vielleicht lachen.

Auch wenn Miyu nicht mehr hier war, wird sie mit diesen Fragen so einigen Menschen ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Dieser Gedanke gefiel ihm umso mehr.

"Vielen Dank für alles. Und sag' das auch Kisugi von mir."

Er wusste, dass Sakai dieses Kleid immer vergessen hat, an Kairi zu geben, wo es Miyu einmal in der Station zurückgelassen und sie es aufbewahrt hat. Er wusste auch, dass sie es war, die den Blumenkranz in ihren Haaren angebracht hat. Und sie war auch diejenige gewesen, die immer auf Miyu aufgepasst hat, egal wie lange Tendo nicht hier war. Er war ihr so dankbar dafür. Und noch mehr Kisugi, der Klarheit in diese ganze Sache gebracht hat.

Es war an der Zeit, sich seinem eigenen Gewissen wieder friedlich gesonnen zu sein.

Nanase und er traten den Heimweg an.

Sie sprachen kaum ein Wort, erst als sie in der Wohnung waren, fiel sie ihm um den Hals und bedankte sich, dass er mitgekommen war.

Doch er dankte ihr nur, dass sie gefragt hat, ob er mitkommen würde. Alleine hätte er es wahrscheinlich nicht getan und würde immer noch mit seinem Inneren einen Krieg führen.

Doch vor einer Herausforderung stand er noch, als Nanase die Teller verräumte und er bereits im Bett lag.

Yukiya kroch zu Kairi unter die Decke und tippte ihm auf die Nase. Es riss ihn keineswegs aus seinen Gedanken. Er hatte ihn bereits gehört.

"Wo ist Miyu jetzt, Papa?"

Er hätte gehofft, Yukiya würde ihm diese Frage nie stellen. Kairi zog den kleinen etwas näher an sich und starrte an die Decke. Doch er hatte gewusst, dass es einmal soweit kommen wird.

"Da oben", zeigte er mit dem Finger an die Zimmerdecke.

"Wie?", verstand Yukiya nicht ganz. "In der Wand?"

Beinahe hätte der Junge ihm ein Lächeln gestohlen. Doch nur beinahe.

"Ganz ganz tief hinter den Wolken. Wo Sonne und Mond sich küssen und man die Sterne berühren kann."

Yukiya klammerte sich an die Bettdecke und starrte wie sein Vater an die Decke.

"Und wie ist sie da hingekommen?"

Kairi erinnerte sich, als er das Krankenhaus in seinem Eifer verlassen hat, war ein Regenbogen hinter dem Gebäude erschienen.

"Über die Regenbogentreppe. Man braucht sie dort als Ärztin für die kranken Sterne."

"Und wann kommt sie wieder zurück?"

Yukiyas Kopf war auf die Brust von Kairi gelegt. Er würde ihm lieber eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen, als ihm dies hier erklären zu müssen.

"Ich weiß es nicht, Kiya."

Yukiya der Beerdigung vorzuenthalten, wird wohl der beste Plan sein. Ryuko wird auf ihn aufpassen, hat sie versprochen.

Auch wenn es nur klein war, wollte Sakai ein paar Worte über die Kleine verlieren. Die ganze Station der Kardiologie, der Pädiatrie und andere Ärzte, die Miyu während ihrer Wartezeiten auf ihrem Vater im Krankenhaus Löcher in den Bauch gefragt hat, sind erschienen.

Sakai schlug sich tapfer und sprach gefasst, als würde sie diese Ansprache seit Jahren halten.

Und Kairi war ihr dankbar dafür.
Dankbar, mit dem letzten Satz vielleicht das rettende Wasser über seinen letzten lodernden Konflikt in ihm zu schütten.

"Und wenn ich groß bin, dann werde auch ich mich so verlieben wie Mama und Papa oder Tante Sakai und Onkel Kisugi. Nur anderes herum." Sie lächelte und saß auf dem Tisch in der Station, als sie damals mit mir sprach.

"Wie meinst du das, Miyu?" Fragte ich zurück, da ich nicht genau wusste, auf was sie anspielte.

"Denn ich bin der Doktor und mein Geliebter die Krankenschwester. So wie Teufel und Held. Nur ich bin der Held." Wie immer, lächelte sie. Und ohne dass ich sie gefragt habe, sprach sie einen Satz aus, der mich bis heute noch sehr berührt.

"Und ich werde mein bestes geben, auch wenn ich weiß, dass ich nicht jeden retten kann. Wie Papa, werde ich immer mein bestes geben." Und nun möchte ich sie bitten, einen Moment in sich zu gehen und an Miyu und an eine Zeit zu denken, in der sie mit ihr gelacht haben.

An die Heldin, die zwei Leben gerettet und ihres dafür gegeben hat.

Sie wird uns immer tief im Herzen bleiben.

 

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Comments

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airauralintensity
#1
Chapter 5: i used machine translation to read this fic, and i almost wish i didn't. it was so simple, yet it hurt so much. should i thank you or yell at you? 😭
TheLonelyDandelion #2
Chapter 2: I love your fanfiction, keep up the good work