Prolog

Our fear

Alter ist nur eine Zahl. Es sagt nichts darüber aus, was ein Mann kann oder weiß. Jeder formt sein Können und Wissen selbst. Es ist nicht davon abhängig, wie viele Jahre man hinter sich hat. Alter ist keine Entschuldigung. Es beschützt dich vor nichts, es hilft dir nicht weiter. Du musst nicht das tun, was Andere in deinem Alter machen, denn jeder gestaltet seine Reife individuell. Deine Erfahrungen bestimmen dein geistliches Alter. Wen interessiert dein Alter? Was spielt es für eine Rolle wie alt du bist? Du bist so reif wie du dich fühlst. Alter ist nur eine Zahl.

 

Ich war sechs, als ich mit meinem Bruder Krieg spielte. Wir bastelten und Schwerter und Gewehre aus Ästen und feuerten uns damit ab. War einer getroffen, schmiss er sich in einer dramatischen Geste zu Boden und machte Geräusche, als würde er ersticken. Sich gegenseitig zu erledigen machte Spaß. Nie hatte ich mehr gelacht, als zu dieser Zeit.

 

Ich war acht, als mein Vater mich das erste Mal schlug. Es war ein harter, schallender Schlag auf die Wange, die noch Wochen danach geschmerzt hatte. Ich erinnerte mich nicht mehr wofür ich geschlagen wurde, aber ich hatte es bestimmt verdient. Meine Mutter hatte damals eingegriffen, aber sie hatte ebenfalls Schläge dafür kassiert. Ich hatte schon länger bemerkt, dass mein Vater sich verändert hatte. Er schaute immer ernst, lachte kaum noch. Oft beobachtete ich wie andere Männer in unser Haus kamen und mein Vater sich flüsternd im Wohnzimmer mit ihnen unterhielt.

 

Ich war zehn, als die neue Regierung an die Macht kam. Ich wusste anfangs nicht, was das bedeutete oder was sich nun ändern würde, aber mein Vater schien sich sehr über den Machtwechsel zu freuen, daher musste es ja etwas Gutes gewesen sein. Meine Mutter war nicht so begeistert gewesne. Aber sie hatte nichts gesagt. Mein Vater hätte sie wohl eh nicht ausreden lassen. Jedenfalls gab es eine Menge Aufruhr in unserem Land. Ich fand das Ganze ziemlich aufregend. Endlich schien sich mal was zu tun.

 

Ich war dreizehn, als die Regierung in die Erziehung eingriff. Einige meiner Klassenkameraden kamen nicht mehr zur Schule. Die wildesten Gerüchte gingen um. Soldaten wären in Häuser eingebrochen und hätten ganze Familien verhaftet. Auch unsere Lehrer wirkten beunruhigt. Der Lehrplan wurde geändert. Schießen zu lernen gehörte ab sofort zum Stoff. Mädchen und Jungen wurden getrennt. Ich wusste nicht, was die Mädchen lernten, während wir Jungen schossen und rechneten, aber Fakt war, dass sie nicht das Gleiche machen durften wie wir. Zur selben Zeit wurde die älteste Klasse der Schule aufgelöst. Die Mädchen mussten arbeiten. Die Jungen wurden als Soldaten eingesetzt. Einige mussten in die Armee, andere wurden als Sicherheitsbeauftragte in Städten nach dem Rechten sehen. Oder sie wurden als Aufseher in sogenannten Arbeitslagern verordnet. Was es mit denen auf sich hatte, wusste ich nicht. Mein älterer Bruder  ging zur Armee. Mein Vater war sehr stolz, als er ging. Er sagte immer wieder: „Eine große Ehre für die Familie. Eine große Ehre.“ Meine Mutter weinte um meinen Bruder und auch ich war traurig. Mit meinem Bruder hatte ich meine engste Bezugsperson verloren.

 

Ich war vierzehn, als Soldaten durch unserer Nachbarschaft zogen und alle nicht Koreaner einsammelten. Meine Mutter stammte aus China. Sie nahmen sie mit, bei Nacht und Nebel. Ich beobachtete alles oben von der Treppe aus. Mein Vater tat nichts. Er stand mit ernstem Gesicht daneben und sah zu. Obwohl meine Mutter weinte und schrie. Ich verstand nicht was passierte. Ich hatte zu meiner Mutter rennen und sie von den Griffen der Soldaten befreien wollen, aber mein Vater hatte mich mit einem strafenden Blick abgehalten und mir befohlen auf mein Zimmer zu gehen. Nie würde ich die Nacht vergessen, als meine Mutter in den Wagen der Soldaten geschleppt wurde und dieser wegfuhr. Danach sah ich meine Mutter nie wieder und es sagte mir niemand wohin sie verschwunden war.

 

Ich war sechzehn, als ein Brief von der Armee kam. Mein Vater las ihn am Frühstückstisch. Erst dachte ich, es wäre ein Brief von meinem Bruder, aber als ich einen Blick auf das Blatt erhaschte, erkannte ich, dass es nicht die Handschrift meines Bruders war. Ich beobachtete neugierig die Reaktion im Gesicht meines Vaters. Dieses blieb allerdings völlig regungslos. Erst am Abend erfuhr ich, was in dem Brief gestanden hatte. Mein Bruder war auf dem Feld gefallen. Vor einem halben Jahr erst, hatte Korea den Krieg begonnen. Ich wusste nicht mal wer unser Feind war. Korea schien gegen jeden zu kämpfen. Hunderte von Opfern. Eines davon war mein Bruder. Von diesem Tag an wurde ich viel stiller und nachdenklicher. Der Verlust meines Bruders schmerzte, aber mein Vater wirkte sichtlich unbeeindruckt. Ich verstand nicht, wie er so ruhig bleiben konnte. Er hatte sine Frau und seinen ältesten Sohn verloren. Aber das schien ihn völlig kalt zu lassen. Es war alles für da Land. Hoch lebe Korea…

 

Ich war siebzehn, als mein bester Freund, der ein halbes Jahr älter als ich war, einberufen wurde. Man schickte ihn nach Gangwon-do, etwas außerhalb von Chuncheon. Mein Freund war sehr aufgeregt und auch sehr stolz. Und das obwohl er nicht wusste, was auf ihn zukam. Ich wusste es auch nicht, aber ich war nicht skeptisch. Ich konnte nicht ahnen, was gerade in meinem Land passierte. Ein halbes Jahr später war es so weit. Ich wurde ausgewählt. Ich sollte meinem besten Freund nach Chuncheon folgen. Am Tag meiner Abreise bracht emein vater mich zum Bahnhof. Er umarmte mich nicht, so wie es die anderen Väter mit ihren Söhnen taten, die ebenfalls zum Arbeitslager fuhren. Alles was mein Vater tat, war mir die Hand auf die Schulter zu legen und zu sagen: „Mach mich stolz, Junge.“ Und ich wollte ihn stolz machen. Das wollte ich wirklich.

 

Ich war achtzehn, als man mir befahl Menschen zu töten. Kaum angekommen in Chuncheon wurde mir meine Aufgabe erklärt. In diesem Arbeitslager wurden Menschen aus ganz Korea zusammengetrieben. Ich wusste nicht, nach welchem Kriterium man die Personen auswählte, die in diesen Lagern lebten. Aber sie schienen etwas Schlimmes verbrochen zu haben, denn sie mussten unter menschenunwürdigen Umständen auf engstem Raum zusammen leben und hart arbeiten. Sie bekamen kein Geld, aber drei Mal am Tag was zu Essen. Wer nicht gehorchte oder Stress machte, wurde bestraft. Die Strafen beinhalteten Prügel bis hin zu Erschießungen. Meine Aufgabe war es, diese Bestrafung durchzuführen und zu überwachen, dass die Arbeiter auch ihren Beschäftigungen nachgingen. Ich wurde angewiesen, Aufständige sofort zu Töten. Das Arbeitslager Sanghada war ein düsterer Ort an dem schreckliche Dinge geschahen, aber ich sah das damals nicht. Ich war jung. Für mich war das alles neu und aufregend und da ich sozusagen auf der richtigen Seite stand, fand ich alles was wir taten gerechtfertigt. Ich dachte mir nichts dabei, wenn ich die Menschen schlug. Nicht nur Männer. Auch Frauen, Kinder, Alte. Aber für mich waren das keine Menschen. Unser Oberster Befehlshaber trichterte uns ein, dass keines dieser Wesen es Wert war zu leben. Es waren Tiere, di es nicht anders verdient hatte. Es geschah ihnen recht, denn sie schadeten unserem Land.

 

Das war es was ich dachte. Ich war zarte achtzehn. Ich war dumm und naiv. Ich wusste nur, was mir beigebracht wurde. Ich war zu jung mein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Aber ich sollte es lernen im Laufe der Jahre.

Dies ist meine Geschichte.

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